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Bei Gelegenheit berichten wir auf dieser Seite über neue Entwicklungen, Entscheide, Ereignisse und Tipps
im Bereich des Rechts:

Das neue Aktienrecht

Am 1. Januar 2023 ist die neue Revision des Aktienrechts in Kraft getreten. Hier eine Übersicht:

Diverse Änderungen betreffen die Corporate Governance. So soll die Rechtsstellung der Aktionäre sowie die Transparenz erhöht werden.

1. Neue Aktionärs- und Minderheitenrechte

1.1. Neue Regelungen bzgl. Auskunftsrecht

Das Wichtigste in Kürze:

Das Auskunfts- und Einsichtsrecht wird ausgebaut und detaillierter geregelt.

Im Detail:

Bisher war das Auskunftsrecht der Aktionäre darauf beschränkt, während der Generalversammlung vom Verwaltungsrat Auskunft über die Angelegenheiten des Unternehmens und von der Revisionsstelle Auskunft über die Durchführung und das Ergebnis ihrer Prüfung zu verlangen. Neu können Aktionäre von nicht-börsenkotierten Gesellschaften, welche zusammen mindestens 10 Prozent des Aktienkapitals oder der Stimmen vertreten, auch ausserhalb der Generalversammlung schriftlich vom Verwaltungsrat Auskunft über die Angelegenheiten der Gesellschaft verlangen (Art. 697 Abs. 2 OR). Der Verwaltungsrat muss innerhalb von vier Monaten antworten und die Antworten sind spätestens an der nächsten Generalversammlung für sämtliche Aktionäre zur Einsicht aufzulegen (Art. 697 Abs. 3 OR). Für börsenkotierte Gesellschaften besteht keine solche Auskunftspflicht, da diese der Ad-hoc-Publizitätspflicht unterstehen.

1.2.  Neue Regelungen bzgl. Einsichtsrecht

Das Wichtigste in Kürze:

Das Einsichtsrecht wird detaillierter geregelt und die Verweigerung des Einsichtsrechts muss neu schriftlich begründet werden.

Im Detail:

Nach bisherigem Recht setzt das Einsichtsrecht eine ausdrückliche Ermächtigung der Generalversammlung oder einen Beschluss des Verwaltungsrates voraus. Beide konnten bisher relativ frei erteilt oder verweigert werden und mussten auch nicht zwingend begründet werden. Die Frage der berechtigten oder unberechtigten Verweigerung des Einsichtsrechts gegenüber einem Aktionär konnte von einem später angerufenen Gericht nur unter dem Aspekt der Willkür geprüft werden (BSK OR II-Weber, Art. 697 N 22). Nun ist der Schutz der Aktionärsrechte diesbezüglich zumindest erhöht, indem die Verweigerung des Einsichtsrechts schriftlich begründet werden muss (Art. 697aAbs. 3 zweiter Satz OR). Zudem regelt das Gesetz das Einsichtsrecht detaillierter, indem es spezifiziert, dass die Einsicht gewährt werden muss, wenn die Einsicht für die Ausübung der Aktionärsrechte erforderlich ist und wenn keine Geschäftsgeheimnisse oder andere schutzwürdigen Interessen der Gesellschaft dadurch gefährdet werden (Art. 697a Abs. 3 OR erster Satz). Das Gesetz schränkt neu das Einsichtsrecht allerdings in Art. 697a Abs. 1 OR auch insofern ein, als dass das Einsichtsrecht nur Aktionären zusteht, die mindestens 5 Prozent des Aktienkapitals oder der Stimmen vertreten.

Zuständig für den Entscheid über die Erteilung der Einsicht ist neu nur der Verwaltungsrat (und nicht mehr parallel auch die Generalversammlung). Der Verwaltungsrat muss die Einsicht innert vier Monaten nach Eingang der Anfrage gewähren (Art. 697a Abs. 2 OR erster Satz). Neu ist auch die Regelung, dass sich Aktionäre bei der Einsichtnahme Notizen machen dürfen (Art. 697a Abs. 2 OR zweiter Satz). Gewisse Stimmen in der Lehre ziehen daraus bereits die Schlussfolgerung, dass das Anfertigen von Kopien verweigert werden könnte (Forstmoser/Küchler, in: Schweizerisches Aktienrecht 2020, Bern 2022, Art. 697a OR N 8). Andere Stimmenerachten diese Auslegung als zu streng und fordern, dass bei einer solch engen Auslegung – damit der Aktionär nicht beweislos da steht – der Inhalt derNotizen des Aktionärs als Vermutung zulasten der Gesellschaft zu betrachten sind, welcher von der Gesellschaft widerlegt werden muss (Bertschinger, Auskunfts- und Einsichtsrecht des Aktionärs – Durchzogene Bilanz der Aktienrechtsrevision, SZW 2022 S. 187 ff., 197).

Was bisher alle Aktionäre hatten und auch künftig haben, ist das Recht, in den Geschäftsbericht und den Revisionsbericht der Gesellschaft Einsicht zu nehmen, welcher spätestens 20 Tage vor der ordentlichen Generalversammlung am Sitz der Gesellschaft zur Einsicht aufzulegen war (bisheriger Art. 696 Abs. 1 OR). Neu ist dieser Aspekt in Art. 699aOR geregelt mit der Neuerung, dass der Geschäftsbericht und der Revisionsbericht „zugänglich zu machen“ sind. Art. 696 Abs. 1 OR, zweiter Satz, spezifiziert neu, dass die Unterlagen entweder elektronisch zugänglich sein müssen oder andernfalls jeder Aktionär von der Gesellschaft die rechtzeitige Zustellung dieser Unterlagen verlangen kann.

1.3.  Neue Regelungen bzgl. Einberufungsrecht und Traktandierungsrecht

Das Wichtigste in Kürze:

Die Schwelle für die Ausübung des Einberufungsrechts und des Traktandierungsrechts wurde von 10% des Aktienkapitals auf 5% herabgesetzt und besteht neu auch bei Vertretung von 5% der Stimmen.

Im Detail:

Das bisherige Recht erwähnte bezüglich des Einberufungsrecht der Aktionäre das Kriterium, dass die Einberufung nur von Aktionären verlangt werden konnte, welche 10 Prozent des Aktienkapitals vertreten.

Einerseits wurde diese Schwelle für die Ausübung des Einberufungsrechts bei börsenkotierten Gesellschaften herabgesetzt, indem die Einberufung neu auch von Aktionären verlangt werden kann, welche mindestens 5% des Aktienkapitals oder der Stimmen verfügen. Andererseits wird neu – nebst der Höhe der Beteiligung am Aktienkapital – alternativ auch auf die Beteiligungsquote an den Stimmen abgestellt. Dadurch wird der Schutz der Inhaber von Stimmrechtsaktien verbessert (Botschaft 2016,S. 549 f.). Nach wie vor ist es möglich, diese Schwellenwerte statutarisch zu senken. Eine Erhöhung der Schwellenwerte oder das Vorschreiben weiterer Voraussetzungen ist jedoch nichtig (BSK OR II-Dubs/Truffer, Art. 699 N 12).

Auch das Traktandierungsrecht wurde angepasst. Bisher waren gemäss dem Gesetzeswortlaut hierzu nur Aktionäre berechtigt, welche über Aktien im Nennwert von CHF 1 Mio. verfügten. Dies wurde im Hinblick auf das Einberufungsrecht von der Rechtsprechung und der herrschenden Lehre so ausgelegt, dass das Traktandierungsrecht generell Aktionären mit 10 Prozent des Aktienkapitals zustand.

Neu werden auch hier die Schwellenwerte herabgesetzt, auch auf die Beteiligungsquote an den Stimmen abgestellt und wieder zwischen börsenkotierten und nicht-börsenkotierten Gesellschaften unterschieden:

Bei börsenkotierten Gesellschaften können Aktionäre die Traktandierung von Verhandlungsgegenständen verlangen, welche über 0,5 Prozent des Aktienkapitals oder der Stimmen verfügen. Und bei nicht-börsenkotierten Gesellschaften müssen die berechtigten Aktionäre über 5Prozent des Aktienkapitals oder der Stimmen verfügen (Art. 699b Abs. 1 OR).

Bisher war der Verwaltungsrat verpflichtet, dem Einberufungsbegehren der Berechtigten „binnen angemessener Frist“ nachzukommen (bisherige Formulierung von Art. 699 Abs. 5 OR), nach deren Ablauf die Gesuchsteller beim Gericht die Einberufung verlangen können. Im neuformulierten Abs. 5 wurde nun eine Maximalfrist von 60 Tagen eingeführt.

1.4.  Neue Regelungen bzgl. Sonderuntersuchung (bisher „Sonderprüfung“)

Das Wichtigste in Kürze:

Die „Sonderprüfung“ wird neu als „Sonderuntersuchung“ bezeichnet, das Klagerecht hierfür wurde einheitlicher geregelt und besteht bei Vertretung von 10% des Aktienkapitals oder 10% der Stimmen.

Im Detail:

Generell können Aktionär gegenüber der Generalversammlung beantragen, bestimmte Sachverhalte durch eine Sonderprüfung abklären zu lassen, sofern dies zur Ausübung ihrer Aktionärsrechte erforderlich ist und sie das Recht auf Auskunft oder das Recht auf Einsicht bereits ausgeübt haben.

Im Falle einer Weigerung zur Durchführung einer solchen Prüfung sah das Gesetz bisher ein Klagerecht der Aktionäre vor, welche 10 Prozent des Aktienkapitals oder Aktien im Nennwert von 2 Millionen Franken vertreten haben.

Bezüglich nicht-börsenkotierter Gesellschaften wird die Berechtigung auch hier klarer geregelt und auch die Beteiligung an den Stimmen berücksichtigt: Klageberechtigt sind Aktionäre, welche über 10 Prozent des Aktienkapitals oder der Stimmen verfügen.

Bei börsenkotierten Gesellschaften wurde der Schwellenwert herabgesetzt. Klageberechtigt sind hier neu Aktionäre, welche über 5 Prozent des Aktienkapitals oder der Stimmen verfügen (Art. 697d Abs. 1OR).

1.5.  Statutarische Schiedsklauseln

Das Wichtigste in Kürze:

Die Zulässigkeit von Schiedsklauseln in Gesellschaftsstatuten ist nun ausdrücklich gesetzlich geregelt.

Im Detail:

Bisher war die Zulässigkeit von Schiedsklauseln in den Gesellschaftsstatuten umstritten. Neu wird diese Frage durch das Gesetz ausdrücklich geregelt in Art. 697n OR. Die Reichweite der Schiedsklausel wird örtlich jedoch eingeschränkt auf Schiedsgerichte mit Sitz in der Schweiz. Schiedsfähig sind die Anfechtungs- und die Nichtigkeitsklage (Art. 706 und 706b OR), die Auflösungsklage (Art. 736 Ziff. 4 OR), die Klage auf (Nach-)Liberierung des Aktienkapitals (Art. 634b), die Rückerstattungsklage (Art. 678 OR) sowie Haftungs- und Verantwortlichkeitsklagen (Art. 752 ff. OR).Von statutarischen Schiedsklauseln nicht erfasst werden demgegenüber Streitigkeiten unter den Aktionären – insbesondere aus Aktionärsbindungsverträgen (Botschaft vom 23. November 2016 zur Änderung des Obligationenrechts (Aktienrecht), BBl 2017 399 ff. (zit. Botschaft), 547). Wenn die Statuten es nicht anders bestimmen, bindet die Schiedsklausel die Gesellschaft, die Organe der Gesellschaft, die Mitglieder der Organe und die Aktionäre (Art. 697n Abs. 1 zweiter Satz OR). In der Ausgestaltung weiterer Einzelheiten des Schiedsverfahrens in den Statuten ist die Gesellschaft frei, sie muss jedoch statutarisch sicherstellen, dass Personen, die von den Rechtswirkungen des Schiedsspruchs direkt betroffen sein können, über die Einleitung und die Beendigung des Verfahrens informiert werden und sich bei der Bestellung des Schiedsgerichts und als Intervenienten am Verfahren beteiligen können (Art. 697n Abs. 3 OR). Für das Verfahren vor dem Schiedsgericht gelten im Übrigen die entsprechenden innerstaatlichen Bestimmungen der Zivilprozessordnung gemäss Art. 353 ff. ZPO. Die Bestimmungen der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit des 12. Kapitels des IPRG kommen nicht zur Anwendung. Damit wird auch die Möglichkeit eines Verzichts auf ein Rechtsmittel gemäss Art. 192 Abs. 1 IPRG ausgeschlossen (Botschaft, 548). Gegen einen Schiedsentscheid besteht somit stets die Möglichkeit eines Rechtsmittels an das Bundesgericht (oder ausnahmsweise an das zuständige kantonale Gericht, Art. 390 Abs. 1 ZPO).

Weil die Aktionärinnen und Aktionäre mit einer statutarischen Schiedsklausel auf den Rechtsschutz durch die staatlichen Gerichte verzichten, erfordert die Einführung einer solchen Statutenbestimmung ein qualifiziertes Mehr gemäss Art. 704 Abs. 1 Ziff. 12 (Botschaft, 548). Damit neu hinzutretende Aktionäre vorgängig klar informiert sind, muss bei Aktiengesellschaften (Art. 45 Abs. 1 lit. u HRegV), bei Kommanditaktiengesellschaften (Art. 68 Abs. 1 lit. v HRegV) und auch bei GmbHs(Art. 73 Abs. 1 lit. v HRegV) die Existenz einer solchen statutarischen Schiedsklausel im Handelsregistereintrag vermerkt werden. Das Handelsregisteramt prüft dabei vor der Eintragung, ob der Beschluss der Generalversammlung zur Einführung einer Schiedsklausel mit dem gesetzlich vorgeschriebenen qualifizierten Mehr zu Stande gekommen ist – d.h. mit mindestens zwei Drittel der vertretenen Stimmen und der Mehrheit der vertretenen Aktiennennwerte gemäss Art. 704 Abs. 1 Ziff. 14 OR. (Meisterhans, Aktienrechtsrevision und Handelsregister, SZW 2022 S. 430 ff., 437).

1.6.  Einschränkung der Abberufbarkeit der Revisionsstelle

Das Wichtigste in Kürze:

Die Abberufung der Revisionsstelle ist nur noch aus wichtigen Gründen möglich.

Im Detail:

Bisher konnte die Revisionsstelle von der Generalversammlung jederzeit ohne Angabe von Gründen und mit sofortiger Wirkung abberufen werden. Neu ist die Abberufung nur noch aus wichtigen Gründen möglich (Art. 730a Abs. 4OR). Ausserdem müssen im Anhang zur Jahresrechnung die Gründe für den vorzeitigen Rücktritt oder die Abberufung offengelegt werden (Art. 959c Abs. 2Ziff. 14 OR). Diese Änderung dient dazu, die Stellung der Revisionsstelle zu stärken (Botschaft, 583).

1.7.  Anpassung der Legitimationsschwelle bzgl. Auflösungsklage

Das Wichtigste in Kürze:

Klageberechtigt sind neu Aktionäre, welche mindestens 10 Prozent des Aktienkapitals oder der Stimmen vertreten.

Im Detail:

Auch bei der Frage der Legitimation zur Klage auf Auflösung der Gesellschaft wird neu zugunsten von Stimmrechtsaktionären auf die Beteiligung an den Stimmen (und nicht nur am Kapital) abgestellt. Klageberechtigt sind Aktionäre, welche mindestens 10 Prozent des Aktienkapitals oder der Stimmen vertreten.

2. Organisation der Aktiengesellschaft

Die Kompetenzen der Generalversammlung wurden leicht erweitert, die Beschlussfassung vereinfacht, neue Durchführungsformen eingeführt und beim Verwaltungsrat bzw. der Geschäftsleitung punktuelle Verbesserungen eingeführt.

2.1. Erweiterte Generalversammlungs-Kompetenzen

Das Wichtigste in Kürze:

Die Entscheidungsbefugnisse der Generalversammlung wurden leicht erweitert.

Im Detail:

Die Entscheidungsbefugnisse der Generalversammlung wurden leicht erweitert. Der Generalversammlung steht neu die unübertragbare Befugnis zu, Zwischendividenden festzusetzen und den dafür erforderlichen Zwischenabschlusses zu genehmigen (Art. 698 Abs. 2 Ziff. 5 OR), über die Rückzahlung der gesetzlichen Kapitalreserve zu beschliessen (Art. 698 Abs. 2Ziff. 6 OR) und über die Dekotierung von Beteiligungspapieren (Aktien wie auch Partizipationsscheine) zu entscheiden. Der Inhalt des neuen Absatz 3 für bösenkotierte Gesellschaften in Art. 698 OR ist nicht neu, sondern entspricht dem bisherigen Art. 2 VegüV (Verordnung gegen übermässige Vergütungen bei börsenkotierten Aktiengesellschaften).

In diesem Zusammenhang wurde auch die Liste der Verhandlungsgegenstände erweitert, bei denen qualifizierte Beschlussquoren erforderlich sind (mindestens zwei Drittel der vertretenen Stimmen und die Mehrheit der vertretenen Aktiennennwerte). Als solche neue Verhandlungsgegenstände hinzugefügt wurden:

  • die Zusammenlegung von Aktien – soweit dafür nicht die Zustimmung aller betroffenen Aktionäre erforderlich ist – gemäss Art. 704 Abs. 1 Ziff. 2 OR;
  • die Umwandlung von Partizipationsscheine in Aktien gemäss Art. 704 Abs. 1 Ziff. 6 OR;
  • die neue Möglichkeit der Festlegung der Währung des Aktienkapitals bzw. die Möglichkeit des Wechsels der Währung gemäss Art. 704 Abs. 1 Ziff. 9 OR;  
  • die neue gesetzliche Regelung der Einführung eines Stichentscheids des Vorsitzenden gemäss Art. 704 Abs. 1 Ziff. 10 OR;
  • die neue Möglichkeit der Zulassung der Durchführung von Generalversammlungen im Ausland (Art. 704 Abs. 1 Ziff. 11);
  • die Dekotierung von Beteiligungspapieren (Art. 704 Abs. 1 Ziff. 12);
  • die Einführung einer statutarischen Schiedsklausel (Art. 704 Abs. 1 Ziff. 14); und
  • der Verzicht auf die Bezeichnung eines unabhängigen Stimmrechtsvertreters für die Durchführung einer virtuellen Generalversammlung bei nichtbörsenkotierten Gesellschaften.

In Ziff. 3 gab es eine leichte Modifikation: Ergänzt wurde hier der Tatbestand der Verrechnungsliberierung. Weggefallen ist der Tatbestand der Sachübernahme. Der qualifizierte Gründungs- und Kapitalerhöhungstatbestand der Sachübernahme wurde generell abgeschafft (der frühere Art. 628 OR wurde also ganz gestrichen). Die Abschaffung erfolgte aufgrund der Unsicherheit der Abgrenzung (vor allem bezüglich beabsichtigter Sachübernahmen) und auch aufgrund der Zufälligkeit des erzielten Kapitalschutzes (Botschaft, 432 ff.).

2.2. Einberufung der Generalversammlung durch den Verwaltungsrat

Das Wichtigste in Kürze:

Die Form der Einberufung der Generalversammlung (Art. 700 Abs. 2 OR) ist im Vergleich zum bisherigen Recht präziser und in der Art einer Checkliste ausgestaltet (Forstmoser/Küchler,a.a.O., Art. 700 OR N 12).

Im Detail:

Neu sind bei den Anträgen des Verwaltungsrates bei börsenkotierten Gesellschaften kurze Begründungen beizufügen (Art. 700 Abs. 2Ziff. 3 OR). Anträge von Aktionären müssen bei allen Gesellschaften mit einer kurzen Begründung versehen sein.

Das Prinzip der Einheit der Materie galt implizit schon zuvor, ist nun aber im neuen Art. 700 Abs. 3 OR gesetzlich ausdrücklich verankert. Ein Verhandlungsgegenstand darf demnach nur Aspekte enthalten, die einem engen Zusammenhang stehen oder die sich gegenseitig bedingen (Botschaft, 554). Es besteht jedoch ein gewisser Ermessensspielraum und es muss nicht über jeden einzelnen Punkt stets einzeln abgestimmt werden. Themenblöcke, die von einander inhaltlich abhängen, dürfen unter demselben Verhandlungsgegenstand zur Abstimmung gebracht werden. Auch über Totalrevisionen von Statuten kann gesamthaft abgestimmt werden (a.a.O.).

Wird die Einheit der Materie verletzt, so ist der entsprechende Beschluss anfechtbar (Art. 706 Abs. 2 Ziff. 1 und 2 OR). Jeder Aktionär steht während der GV zudem das Recht zu, die getrennte Behandlung von inhaltlich nicht zusammengehörenden Verhandlungsgegenständen zu verlangen i.S.v. Art. 699bAbs. 5 OR (a.a.O.).

Gemäss Lehre ist die Nichtigkeitsfolge bei der Verletzung der Einheit der Materie nur in krassen Extremfällen denkbar. Zudem ist ein Beschluss bei Verletzung dieses Prinzips nicht anfechtbar, wenn die Verletzung der Einheit nachweislich keinen Einfluss auf die Beschlussfassung hatte – etwa wegen Einstimmigkeit oder weil in der Versammlung das Problem thematisiert und ohne Gegenstimme beschlossen wurde, es bei der Einheit zu belassen (Forstmoser/Küchler, a.a.O., Art. 700 ORN 19).

Neu wurde in Art. 700 Abs. 3 OR auch die Pflicht des Verwaltungsrates eingeführt, den Aktionären sämtliche Informationen vorzulegen, die für ihre Beschlussfassung notwendig sind. Die Botschaft spricht von einer sachlichen und neutralen Information (Botschaft, 555). Verhandlungsgegenstände können in der Einberufung dabei summarisch dargestellt werden, sofern den Aktionären weiterführende Informationen auf anderem Weg zugänglich gemacht werden, z.B. überelektronischem Weg (Botschaft, 555).

2.3.  Universalversammlung, Zustimmung zu Anträgen und neue Durchführungsformen

Das Wichtigste in Kürze:

Die Generalversammlungen kann nun an verschiedenen Orten gleichzeitig durchgeführt werden und der Tagungsort kann frei gewählt werden (u.U. auch ausserhalb der Schweiz). Ebenso möglich ist es, die Generalversammlung rein virtuell durchzuführen. Und schliesslich können Generalversammlungen neu auch schriftlich abgehalten werden.

Im Detail:

Art. 701 bezüglich „Universalversammlung und Zustimmung zu einem Antrag“ wurde in Abs. 1 und 2 leicht redaktionell angepasst. „Universalversammlung“ bedeutet, dass die GV ohne Einhaltung der für die Einberufung geltenden Vorschriften abgehalten werden kann, sofern sämtliche Aktien vertreten sind und gegen diese Durchführungsart kein Widerspruch erhoben wird. In Abs. 2 ist hier neu vom „Teilnehmen“ der Aktionäre an der Universalversammlung die Rede anstelle von deren Anwesenheit. Damit wird zum Ausdruck gebracht, dass die physische Präsenz der Aktionäre nicht zwingend notwendig ist und die Universalversammlung z.B. auch in der Form einer virtuellen GV durchgeführt werden kann (Art. 701d OR).

Ganz neu – als weitere Option nebst der Universalversammlung, bei der sämtliche Aktien vertreten sein müssen – ist Abs. 3 von Art. 701 OR: Gemäss dieser neuen Bestimmung können Generalversammlungen schriftlich abgehalten werden („auf schriftlichem Weg auf Papier oder in elektronischer Form“), sofern nicht ein Aktionär oder ein Aktionärsvertreter die mündliche Beratung verlangt. Diese neue Art der Beschlussfassung soll Gesellschaften mit kleinem Aktionariat sowie Gesellschaften, die in einen Konzern eingebunden sind, mehr Flexibilität ermöglichen (Botschaft, 555).

Neu ist auch Art. 701a OR. Gemäss Abs. 1 dieses Artikels bestimmt der Verwaltungsrat den Tagungsort der Gesellschaft. Gemäss Art. 701a Abs. 2 OR darf durch die Wahl des Tagungsortes zwar keinem Aktionär die Ausübung seiner Rechte unsachlich erschwert werden. Innerhalb der Schweiz wird dies jedoch kaum je der Fall sein und praktisch jeder Tagungsort in der Schweiz ist als zumutbar zu betrachten (vgl. Forstmoser/Küchler, a.a.O., Art. 701a N 7). Bezüglich ausländischer Tagungsorte (aufgrund des neuen Art. 701b OR) kann die Einschränkung von Art. 701a Abs. 2 OR jedoch relevant werden.

Gemäss Abs. 3 der neuen Bestimmung kann die Generalversammlung an verschiedenen Orten gleichzeitig durchgeführt werden. Die Voten der Teilnehmer müssen in diesem Fall unmittelbar in Bild und Ton an sämtliche Tagungsorte übertragen werden.

Wie erwähnt, ermöglicht der neue Art. 701b OR auch die Durchführung der Generalversammlung im Ausland, wenn die Statuten dies vorsehen und der Verwaltungsrat in der Einberufung einen unabhängigen Stimmrechtsvertreter bezeichnet (Art. 701b Abs. 1 OR). Bei nicht börsenkotierten Gesellschaften kann mit der Zustimmung aller Aktionäre auf die Bezeichnung eines unabhängigen Stimmrechtsvertreters verzichtet werden (Art. 701b Abs. 2 OR).

Der Verwaltungsrat kann neu ein „Direct Voting“ vorsehen bzw. eine „Hybride GV“, d.h. dass Aktionäre, die nicht am Ort der Generalversammlung anwesend sind, ihre Rechte auf elektronischem Weg ausüben können (Art. 701cOR). Eine statutarische Grundlage ist hierfür nicht erforderlich, da sich diese Form der Stimmabgabe direkt auf Art. 701 Abs. 3 OR stützt (vgl. Meisterhans, Aktienrechtsrevision und Handelsregister, SZW 2022 S. 430 ff., 436).

Aufgrund des neuen Art. 701d OR ist es auch möglich die GV rein virtuell durchzuführen, also ohne physischen Tagungsort, sofern die Statuten dies vorsehen. Bei börsenkotierten Gesellschaften muss der Verwaltungsrat zudem einen unabhängigen Stimmrechtsvertreter bezeichnen (Art. 701d Abs. 1 OR). Bei nichtbörsenkotierten Gesellschaften kann für die virtuelle GV auf das Erfordernis einer Bezeichnung eines Stimmrechtsvertreters statutarisch verzichtet werden (Art. 701d Abs. 2 OR). Entsprechende Statutenbestimmungen genügen also.

Gemäss Art. 701e Abs. 1 OR hat der Verwaltungsrat die Einzelheiten der Verwendung elektronischer Mittel zu regeln – meistens in einem entsprechenden Reglement (Botschaft, 557). In Art. 701e Abs. 2 OR werden dabei die Grundvoraussetzungen der Verwendung elektronischer Mittel gesetzlich vorgeschrieben.

Die Teilnehmer müssen identifiziert werden (Art. 701e Abs. 2 Ziff. 1OR), die Voten müssen unmittelbar übertragen werden (Art. 701e Abs. 2 Ziff. 2OR), die Möglichkeit, Anträge zu stellen und sich an der Diskussion zu beteiligen, muss gewährleistet sein (Art. 701e Abs. 2 Ziff. 3 OR) und es ist die Unverfälschtheit des Abstimmungsergebnisses sicherzustellen (Art. 701e Abs. 2 Ziff. 4 OR).

Treten während der Generalversammlung technische Probleme auf, sodass die Generalversammlung nicht ordnungsgemäss durchgeführt werden kann, so muss sie wiederholt werden(Art. 701f Abs. 1 OR). Beschlüsse, welche die Generalversammlung vor dem Auftreten der technischen Probleme gefasst hat, bleiben gültig (Art. 701f Abs.2 OR). Das Auftreten von technische Problemen ist zudem im Protokoll der Generalversammlung gemäss dem neuen Art. 702 Abs. 2 Ziff. 6 OR festzuhalten. Relevant sind dabei nicht nur Probleme, welche die Stimmabgabe beeinträchtigen, sondern auch solche, die den Meinungsaustausch behindern (Forstmoser/Küchler,a.a.O., Art. 702 N 8).

2.4. Teilnahmerecht der Geschäftsleitung, Stichentscheid des Vorsitzenden, GV-Protokoll

Das Wichtigste in Kürze:

Neu haben auch Mitglieder der Geschäftsleitung das Recht zur Teilnahme an der Generalversammlungen. Dabei haben sie kein Antragsrecht, aber ein Meinungsäusserungsrecht. Zudem können die Statuten dem Vorsitzenden der Generalversammlung neu bei Stimmengleichheit den Stichentscheid einräumen (Art. 703 Abs. 2 OR). Mit dem neuen Art. 702 Abs. 4 OR wird eine Frist von 30 Tagen eingeführt, innerhalb der das Protokoll (auf Verlangen eines Aktionärs) verfügbar sein muss.

Im Detail:

Unverändert ist gemäss Art. 691 Abs. 2 OR jeder Aktionär befugt, gegen die Teilnahme unberechtigter Personen beim Verwaltungsrat oder zu Protokoll der Generalversammlung Einspruch zu erheben. Nach der bisherigen Formulierung von Art. 702a OR waren und sind Mitglieder des Verwaltungsrates zur Teilnahme an der Generalversammlung berechtigt und haben auch ein Antragsrecht. Durch Art. 691 Abs. 2bis OR kommt neu ein Teilnahmerecht für die Mitglieder der Geschäftsleitung hinzu. Die Mitglieder der Geschäftsleitung haben dabei zwar kein Antragsrecht, jedoch gemäss Abs. 1 des neu formulierten Art. 702a OR ein Meinungsäusserungsrecht.

Diese neuen Bestimmungen ändern nichts an der Möglichkeit der Aktionäre, auf dem Weg einer Universalversammlung oder auf dem Zirkularweg, gültige Beschlüsse auch ohne die Teilnahme der Verwaltungsratsmitglieder und Geschäftsleitungsmitglieder zu fassen (Botschaft, 562 f.).

Neu können die Statuten dem Vorsitzenden der Generalversammlung bei Stimmengleichheit den Stichentscheid einräumen (Art. 703 Abs. 2 OR). Für die Einführung braucht es, wie erwähnt, das doppelt qualifizierte Quorum (Art. 704Abs. 1 Ziff. 10 OR).

Mit dem neuen Art. 702 Abs. 4 OR wird eine Frist von 30 Tagen eingeführt, innerhalb der das Protokoll (auf Verlangen eines Aktionärs) verfügbar sein muss.

Eine noch kürzere Frist von 15 Tagen wird über Art. 702 Abs. 5 OR für börsenkotierte Gesellschaften eingeführt. Innerhalb dieser Frist sind die Beschlüsse und Wahlergebnisse unter Angabe der genauen Stimmverhältnisse elektronisch zugänglich zu machen.

Bei börsenkotierten Gesellschaften wurde zudem die Vertretung der Aktionäre (u.a. keine Beschränkung der Vertretung auf andere Aktionäre, Art. 689d Abs. 1 OR)und das Stimmgeheimnis des unabhängigen Stimmrechtsvertreters neu geregelt (Zulässigkeit für den Stimmrechtsvertreter, drei Tage vor der Generalversammlung der Gesellschaft eine allgemeine Auskunft über die eingegangenen Weisungen zu erteilen, Art. 689c Abs. 5 OR).

2.5. Amtsdauer des Verwaltungsrats, Wahl und Delegation der Geschäftsleitung

Das Wichtigste in Kürze:

Die Vorgaben der Volksinitiative „gegen die Abzockerei“ bzw. Art. 95 Abs. 3 BV (die Regelungen die bisher also im VegüV enthalten waren) wurden auf Gesetzesstufe umgesetzt. Neu ist die Wahl eines Sekretärs des Verwaltungsrates nicht nötig, und die Zulässigkeit der Übertragung der Geschäftsleitung ist standardmässig zulässig (ohne besondere Statutenbestimmung).

Im Detail:

Art. 710 OR setzt die Vorgaben der Volksinitiative „gegen die Abzockerei“ bzw. Art. 95 Abs. 3 BV um. Auch hier wird der Inhalt der bisher erlassenen VegüV (Verordnung gegen übermässige Vergütungen bei börsenkotierten Aktiengesellschaften) auf Gesetzesstufe verankert. Gemäss Art.3 Abs. 2 VegüV endete die Amtsdauer des Verwaltungsrates mit dem Abschluss der nächsten ordentlichen Generalversammlung, welche gemäss Art. 699 Abs. 2 OR alljährlich stattzufinden hat. Die Amtsdauer des Verwaltungsrates bei börsenkotierten Gesellschaften war also schon in der VegüV auf ein Jahr limitiert und es war eine Einzelwahl vorgeschrieben, was neu in Art. 710 Abs. 1 OR geregelt ist.

Unverändert bleibt die Amtsdauer des Verwaltungsrates bei nichtbörsenkotierten Gesellschaften: Gemäss Art. 710 Abs. 2 OR beträgt diese dispositiv 3 Jahre, maximal 6 Jahre. Die Wiederwahl ist möglich – sowohl bei nichtbörsenkotierten als auch bei börsenkotierten Gesellschaften (Art. 710 Abs.3 OR).

Dispositiv ist auch bei den nichtbörsenkotierten Gesellschaften eine Einzelwahl vorgesehen, wobei statutarisch oder mit Zustimmung aller Aktionäre davon abgewichen werden kann (Art. 710 Abs. 2 OR).

Auch Art. 712 Abs. 1 OR (Wahl eines Verwaltungsratsmitglieds als Präsident für die Dauer eines Jahres bei börsenkotierten Gesellschaften) ist an sich keine Änderung sondern entspricht Art. 4 Abs. 1 und 2 VegüV. Neu muss kein Sekretär des Verwaltungsrates gewählt werden muss. Der in Art. 713 Abs. 3 OR erwähnte Protokollführer kann daher ad hoc ernannt werden (Forstmoser/Küchler,a.a.O., Art. 712 N 11).

In der neuen Formulierung von Art. 716b Abs. 1 OR wird das dispositive Recht bezüglich der Delegation der Geschäftsleitung der Gesellschaft umgekehrt: Während mit der bisherigen Formulierung des Gesetzes die Übertragung der Geschäftsführung voraussetzte, dass eine entsprechende Ermächtigung in den Statuten und ein entsprechendes Organisationsreglement bestand, ist neu die Übertragung standardmässig zulässig.

Neu ist ebenso Art. 716b Abs. 2 OR. Während gemäss Art. 120 HRegV der Grundsatz gilt, dass nur natürliche Personen als Mitglieder des obersten Leitungs- oder Verwaltungsorgans sowie als Zeichnungsberechtigte ins Handelsregister eingetragen werden können, sieht der letzte Satz von Art. 716b Abs. 2 OR vor, dass neu die Vermögensverwaltung der Gesellschaft auch auf juristische Personen übertragen werden kann.

2.6.  Regelung elektronischer Mittel für die Beschlussfassung durch den Verwaltungsrat

Das Wichtigste in Kürze:

Der Verwaltungsrat kann Zirkularbeschlüsse rein elektronisch fassen.

Im Detail:

Der neue Art. 713 Abs. 2 Ziff. 2 OR regelt explizit die Verwendung elektronischer Mittel durch den Verwaltungsrat und präzisiert in Art. 713 Abs. 2 Ziff. 3 OR, dass für die Beschlussfassung auf elektronischem Wege keine Unterschrift erforderlich ist (auch keine qualifizierte elektronische Signatur). Dadurch kann der Verwaltungsrat neu Zirkularbeschlüsse rein elektronisch fassen (sei es per E-Mail, SMS, WhatsApp, Telegram, Signal, Threema, Wire etc.).

2.7. Umgang mit Interessenkonflikten

Das Wichtigste in Kürze:

Das Gesetz führt neu Regeln dafür ein, was zu geschehen hat, wenn ein Interessenkonflikt auftritt.

Im Detail:

Schon nach bisherigem Recht waren Mitglieder des Verwaltungsrates und der Geschäftsleitung verpflichtet, das Auftreten von Interessenkonflikten soweit wie möglich zu vermeiden. Dies ergab sich bereits aus Arbeitsrecht (Art. 321a OR), Auftragsrecht (Art. 398 Abs. 1 und 2 OR) und auch aus bisherigem Aktienrecht (Art. 717 OR). Der neue Art. 717a OR führt nun in Abs. 1 Regeln dafür ein, was zu geschehen hat, wenn trotzdem ein Interessenkonflikt auftritt: Mitglieder des Verwaltungsrates und – sofern separat vorhanden – Mitglieder der Geschäftsleitung müssen den Verwaltungsrat über solche Interessenkonflikte unverzüglich und vollständig informieren. Für diese Meldepflicht ist es ohne Bedeutung, ob ein potenzieller Interessenkonflikt vorliegt oder bereits ein unauflösbarer Widerspruch entstanden ist (Botschaft, 571). Der Begriff des Interessenkonflikts ist dabei weit zu fassen. Darunter können geschäftliche oder private Beziehungen von Organmitgliedern zu Dritte fallen, welche mit der Gesellschaft in einer geschäftlichen Beziehung steht oder stehen will (a.a.O.). Auch ein Mangel an Zeit kann ein Interessenkonflikt darstellen, wenn andere Tätigkeiten eines Organmitglieds (seien sie konzernintern oder -extern) so arbeitsintensiv sind, dass nicht mehr ausreichend Zeit für die sorgfältige Erfüllung der Aufgaben beider eigenen Gesellschaft verbleibt (a.a.O.).

Gemäss Abs. 2 des neuen Art. 717a OR ergreift der Verwaltungsrat die Massnahmen, die zur Wahrung der Interessen der Gesellschaft nötig sind. Das können Massnahmen im Einzelfall sein wie auch eine allgemeine Ordnung im Umfangmit Interessenkonflikten in einem Organisationsreglement (a.a.O.). Eine zwingende Ausstandspflicht wird nicht vorgeschrieben, da oft das Wissen des von einem Interessenkonflikt betroffenen Mitglieds des Verwaltungsrates oder der Geschäftsleitung für die Beschlussfassung wichtig sein kann. In der Praxis erfolgt meist eine zweistufige Abstimmung in einem solchen Fall: Zuerst wird im Kreis aller Mitglieder des Verwaltungsrates abgestimmt und danach nochmals ohne die befangenen Mitglieder. Der Entscheid gilt nur als zustande gekommen, sofern er in beiden Zusammensetzungen angenommen wurde (a.a.O.).

Bei einem dauerhaften Interessenkonflikt bleibt einem Mitglied des Verwaltungsrates oder der Geschäftsleitung letztlich nur das Ausscheiden aus dem entsprechenden Organübrig. Wenn Mitglieder des Verwaltungsrates oder der Geschäftsleitung die Gesellschaft aufgrund eines fehlerhaften Umgangs mit einem Interessenkonflikt schädigen, werden sie zudem gemäss Art. 754 OR haftpflichtig (a.a.O.).

2.8. Neue Regeln bezüglich Zahlungsunfähigkeit

Das Wichtigste in Kürze:

Das Gesetz führt explizite Handlungspflichten des Verwaltungsrates ein, um die Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft zu vermeiden.

Im Detail:

Der neue Art. 725 OR behandelt Fälle drohender Zahlungsunfähigkeit und wurde den Bestimmungen bezüglich Kapitalverlust und Überschuldung vorangestellt. Die Finanzplanung gehörte schon bisher zu den unübertragbaren und unentziehbaren Aufgaben des Verwaltungsrates (Art. 716a Abs. 1 Ziff. 3 OR). Der neue Art. 725 OR hält diesbezüglich explizite Handlungspflichten des Verwaltungsrates fest, um die Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft zu vermeiden.

Zahlungsunfähigkeit in diesem Sinne ist bei bloss einmaliger Unmöglichkeit, fristgerecht zu bezahlen, noch nicht gegeben (Botschaft, 574), sondern dann, wenn die Gesellschaft ihre fälligen Verbindlichkeiten nicht mehr erfüllen kann und somit weder über die Mittel verfügt, fällige Verbindlichkeiten zu erfüllen, noch über den erforderlichen Kredit, sich diese Mittel nötigenfalls zu beschaffen (BGE 111 II 206, 206 f., E. 1). «Wenn sich die Hinweise darauf verdichten» (Botschaft, 574), hat der Verwaltungsrat Massnahmen im Sinne von Art. 725 Abs. 2 OR zu ergreifen. Der im Gesetzgebungsprozess diskutierte fixe Betrachtungszeitraums (i.d.R. 6 Monate und 12 Monate für Gesellschaften mit Pflicht zur ordentlichen Revision) wurde schlussendlich gestrichen.

Abs. 2 schreibt vor, wie der Verwaltungsrat bei drohender Zahlungsunfähigkeit vorzugehen hat. Zunächst ist die Rede von „Massnahmen zur Sicherstellung der Zahlungsfähigkeit“ (z.B. die Beschaffung liquider Mittel).Soweit erforderlich sind als nächstes „weitere Massnahmen zur Sanierung der Gesellschaft“ zu ergreifen (z.B. das Einholen von Rangrücktrittserklärungen) oder Massnamen der Generalversammlung zu beantragen (z.B. eine Kapitalerhöhung). Und schliesslich ist nötigenfalls ein Nachlassverfahren i.S.v. Art. 293 SchKG einzuleiten.

In Abs. 3 wird vorgeschrieben, dass der Verwaltungsrat „mit der gebotenen Eile“ handeln muss. Dies ist ohnehin die logische Folge aus der allgemeinen Sorgfaltspflicht von Art. 717 Abs. 1 OR. Gemäss Botschaft kommt Abs. 3 im Falle einer späteren Überschuldung (Art. 725b) bei der Frage der Haftung des Verwaltungsrates allerdings eine besondere Bedeutung zu. Der Fokus auf die Rechtzeitigkeit des Handelns wird also erhöht.

2.9.  Neue Regeln bei Kapitalverlust

Das Wichtigste in Kürze:

Die neue Formulierung des Gesetzes in Art. 725a Abs.1 OR präzisiert, was unter gesetzliche Reserven zu verstehen ist. Erfasst werden nur die nicht rückzahlbaren, gesperrten gesetzlichen Reserven (gesetzliche Gewinnreserven und gesetzliche Kapitalreserven). Im Vergleich zum bisherigen Recht muss der Verwaltungsrat nicht in jedem Fall für Sanierungsmassnahmen eine Generalversammlung einberufen, sondern nur sofern erforderlich. Neu schreibt Art.725a Abs. 2 OR vor, dass Gesellschaften ohne Revisionsstelle im Fall eines Kapitalverlusts ihre letzte Jahresrechnung einer eingeschränkten Revision durch einen zugelassenen Revisor unterziehen müssen.

Im Detail:

Bei einer AG mit normalem Geschäftsgang sieht die Bilanz folgendermassen aus (angelehnt an von Büren/Stoffel/Weber, Grundriss des Aktienrechts, 3. A., Zürich/Basel/Genf 2011, Rz. 685 ff.):

Gerät die Gesellschaft in eine wirtschaftliche Krise und schreibt sie Verluste, dann sind nicht mehr alle Passiven durch Aktiven gedeckt. Es wird auf der Aktivseite ein Verlust verbucht:

Bei massiven Störungen des wirtschaftlichen Gleichgewichts verpflichtet das Gesetz den Verwaltungsrat zum Handeln und zwar dann, wenn ein Kapitalverlust oder eine Überschuldung vorliegt.

Ein Kapitalverlust liegt vor, wenn der Bilanzverlust so hoch ist, dass die Hälfte der Summe des Nennkapitals (Aktienkapital und Partizipationskapital) und der gesetzlichen Reserven nicht mehr gedeckt ist:

Eine Überschuldung liegt vor, wenn der Bilanzverlust so hoch ist, dass das Eigenkapital überhaupt nicht mehr gedeckt ist und nun auch nicht mehr das Fremdkapital:

All dies galt schon im bisherigen Recht. Der Wesentliche Inhalt des neuen Art. 725a OR war im bisherigen Art. 725 OR enthalten. Die neue Formulierung der gesetzlichen Bestimmungen in Art. 725a bringt folgende Neuerungen:

Zunächst präzisiert die neue Formulierung des Gesetzes in Art. 725a Abs.1 OR, was unter gesetzliche Reserven zu verstehen ist. Erfasst werden die gesetzlichen Gewinnreserven und die nicht an die Aktionäre zurückzahlbaren gesetzlichen Kapitalreserven. Massgebend sind also nur die nicht rückzahlbaren, gesperrten gesetzlichen Reserven (vgl. Art. 671 Abs. 2 OR). Ein allfällig überschiessender Anteil kann damit ohne Beschluss der Generalversammlung bereits gedanklich mit den Verlusten verrechnet werden (Kleibold/Rüfenacht, Das revidierte Aktienrecht aus der Sicht der Wirtschaftsprüfung, EF 6/21 S. 248 ff., 460). Im Falle eines Kapitalverlusts im obigen Sinne ergreift der Verwaltungsrat mit der gebotenen Eile Massnahmen zur Beseitigung des Kapitalverlusts (Art. 725a Abs. 1 OR). Er kann eigene Massnahmen zur Sanierung der Gesellschaft ergreifen (z.B. durch die Reduktion von Kosten) oder er „beantragt der Generalversammlung solche [Massnahmen],soweit sie in deren Zuständigkeit fallen“. Letztere Massnahmen können z.B. eine Kapitalerhöhung oder eine Bilanzbereinigung durch Kapitalherabsetzung sein. Im Vergleich zum bisherigen Recht muss der Verwaltungsrat also nicht in jedem Fall eine Generalversammlung einberufen, sondern nur sofern erforderlich.

Neu ist in Art. 725a Abs. 2 OR ebenso, dass bei Gesellschaften ohne Revisionsstelle im Fall eines Kapitalverlusts ihre letzte Jahresrechnung einer eingeschränkten Revision durch einen zugelassenen Revisor unterziehen müssen. Der Revisor wird dabei vom Verwaltungsrat ernannt. „Damit soll sichergestellt werden, dass die wirtschaftliche Lage nicht schlechter ist, als sie vom Verwaltungsrat dargestellt wird, was in der Praxis nicht selten der Fall sein wird“(Botschaft, 577).

Gemäss dem neuen Art. 725a Abs. 3 OR entfällt die Revisionspflicht, wenn der Verwaltungsrat ein Gesuch um Nachlassstundung einreicht.

Art. 725a Abs. 4ermahnt wiederum mit der gebotenen Eile zu handeln.

2.10. Neue Regeln bei Überschuldung

Das Wichtigste in Kürze:

Ein Rangrücktritt geht neu zwingend auch mit einer Zinsstundung einher. Das neue Recht schafft Klarheit bezüglich der Voraussetzungen und der Dauer des Konkursaufschubs (max. 90 Tage nach Vorliegen der geprüften Zwischenabschlüsse).

Im Detail:

Wie bisher (im früheren Art. 725a Abs. 1 OR) muss im Falle einer Überschuldung eine Zwischenbilanz erstellt werden und diese von einem zugelassenen Revisor überprüft werden. Neu stellt der zweite Satz der Überschuldungsreglung in Art. 725b Abs. 1 OR klar, dass auf den Zwischenabschluss zu Veräusserungswerten verzichtet werden kann, wenn die Annahme der Fortführung gegeben ist und der Zwischenabschluss zu Fortführungswerten keine Überschuldung aufweist (Botschaft, 578). Ist die Annahme der Fortführung nicht gegeben, so genügt ein Zwischenabschluss zu Veräusserungswerten (Art. 725b Abs. 1 dritter Satz OR). Die Bestimmung wird in Art. 958a Abs. 2 OR weiter erläutert. Wie bisher ist das Konkursgericht zu benachrichtigen, wenn eine Überschuldung sowohl zu Fortführungswerten als auch zu Veräusserungswerten gegeben ist (BSK OR II-Wüstiner, Art. 725a N 3).

Bisher wurden im früheren Art. 725a OR die Pflichten des Gerichtsskizziert, neu verweist die entsprechende Bestimmung im neuen Art. 725b Abs. 3OR auf die einschlägigen Bestimmungen des SchKG (Forstmoser/Küchler, a.a.O., Art. 725b N 15).

Art. 725b Abs. 4 enthält nicht grundlegend Neues. Auf die Benachrichtigung des Konkursgerichts kann, wie bisher, verzichtet werden, wenn(Ziff. 1) die Gesellschaftsgläubiger im Ausmass der Überschuldung im Rang hinter alle anderen Gläubiger zurücktreten oder (Ziff. 2) begründete Aussicht auf Sanierung besteht. Das neue Recht präzisiert jedoch diese beiden Möglichkeiten:

  • Zu Ziff. 1: Wie schon unter bisher geltendem Recht (vgl. BSK OR II-Wüstiner, Art.725 N 46 punkto Kapitalstundung) erfordert ein Rangrücktritt eine Kapitalstundung. Neu geht der Rangrücktritt aber zwingend auch mit einer Zinsstundung einher (a.a.O.). Die während der Dauer der Überschuldung auflaufenden Zinsforderungen müssen vom Rangrücktritt also ebenso erfasst werden. Für andere Entschädigungen, wie z.B. Bereitstellungskommissionen, Abschlussgebühren, Vorfälligkeitsentschädigungen, Waiver-Gebühren oder Auslagenersatz, verlangt das neue Recht hingegen keinen Rangrücktritt (Druey/Druey/Glanzmann, Gesellschafts- und Handelsrecht, 12. Aufl., Zürich/Basel/Genf 2021, S. 134).
  • Zu Ziff. 2: Das neue Recht schafft Klarheit bezüglich der Voraussetzungen und der Dauer des Konkursaufschubs (Forstmoser/Küchler, a.a.O., Art. 725b N 16). Es muss somit begründete Aussicht bestehen, dass die Überschuldung innert angemessener Frist, spätestens aber 90 Tage nach Vorliegen der geprüften Zwischenabschlüsse, behoben werden kann und dass die Forderungen der Gläubiger nicht zusätzlich gefährdet werden.

2.11.  Aufwertung von Grundstücken und Beteiligungen

Das Wichtigste in Kürze:

Art. 725c OR ersetzt die in Art. 670 enthaltenen Regeln bezüglich Aufwertung von Grundstücken und Beteiligungen zur Behebung eines Kapitalverlusts und stellt neu insbesondere klar, dass dies auch zur Behebung einer Überschuldung zulässig ist.

Im Detail:

Zur Behebung eines hälftigen Kapitalverlusts oder eine Überschuldung dürfen gemäss dem neuen Art. 725c OR (Abs. 1), […] Grundstücke und Beteiligungen, deren wirklicher Wert über die Anschaffungs- oder Herstellungskosten gestiegen ist, bis höchstens zu diesem Wert aufgewertet werden.“ Die Aufwertung ist jedoch […] nur zulässig, wenn die Revisionsstelle oder, wenn eine solche fehlt, ein zugelassener Revisor schriftlich bestätigt, dass die gesetzlichen Bestimmungen eingehalten sind“ (Art. 725c Abs. 2 OR).

Der Aufwertungsbetrag ist unter der gesetzlichen Gewinnreserve gesondert als Aufwertungsreserve auszuweisen (Art. 725c Abs. 1 zweiter Satz OR).

Die Aufwertungsreserve kann nur durch Umwandlung in Aktien- oder Partizipationskapital sowie durch Wertberichtigung oder Veräusserung der aufgewerteten Aktiven aufgelöst werden (Art. 725c Abs. 3 OR).

3. Neuerungen bezüglich Verantwortlichkeit

3.1. Ausweitung der Rückerstattungsklage und Klageanhebung durch Beschluss der GV

Das Wichtigste in Kürze:

Die Rückerstattungsklage wurde punktuell verbessert (Erweiterung des Kreises der rückerstattungspflichtigen Personen; Verzicht auf das Erfordernis der Bösgläubigkeit; Möglichkeit der Aktionäre, eine Klage auf Leistung an die Gesellschaft einzuleiten, ohne selbst das Prozessrisiko tragen zu müssen).

Im Detail:

Bei der Rückerstattungsklage gemäss Art. 678 OR wurde der Kreis der erfassten Begünstigten erweitert. Neu werden in Art. 678 Abs. 1OR die mit der Geschäftsführung befassten Personen und die Mitglieder des Beirats als rückerstattungspflichtige Personen ebenfalls ausdrücklich erwähnt. Durch diese Formulierung soll verdeutlicht werden, dass auch materielle und faktische Organe von der Pflicht zur Rückerstattung erfasst werden (Botschaft, S. 528).

Des Weiteren wird auf das frühere Erfordernis der Bösgläubigkeit des Rückerstattungspflichtigen neu verzichtet. Die Rückerstattungsklage ist eine lex specialis zu den allgemeinen Normen über die ungerechtfertigte Bereicherung(was neu in Art. 678 Abs. 3 OR auch verdeutlicht wird). Gemäss diesen allgemeinen Grundsätzen ist keine Bösgläubigkeit des ungerechtfertigt Bereicherten erforderlich, so dass Art. 678 OR mit Art. 62 ff. OR harmonisiert wird.

Art. 678 Abs. 5 OR stellt neu das Recht der Generalversammlung klar, die Erhebung einer Rückerstattungsklage beschliessen zu können. Die Generalversammlung kann mit der Prozessführung den Verwaltungsrat oder einen aussenstehenden Vertreter betrauen (Art. 678 Abs. 5 zweiter Satz OR).

Dieselbe Regelung findet sich neu auch in Art. 756 Abs. 2 OR. Demnach kann die Generalversammlung die Gesellschaft auch dazu zwingen, auf Kosten der Gesellschaft eine Verantwortlichkeitsklage zu erheben. Auch hier kann entweder der Verwaltungsrat oder ein Vertreter mit der Prozessführung betraut werden (Art. 756 Abs. 2 zweiter Satz OR). In beiden Fällen (bei der Rückerstattungsklage als auch bei der Verantwortlichkeitsklage) haben die Aktionäre so die Möglichkeit, eine Klage auf Leistung an die Gesellschaft einzuleiten, ohne selbst das Prozessrisiko tragen zu müssen (Botschaft, S. 530 und S. 600).

3.2.  Behandlung von rangrücktrittsbelasteten Forderungen im Verantwortlichkeitsprozess

Das Wichtigste in Kürze:

Der neue Art. 757 Abs. 4 OR macht klar, dass Forderungen aus Rangrücktritten bei Verantwortlichkeitsklagen nicht eingeklagt werden können.

Im Detail:

Bei einem Rangrücktritt erklärt ein Gläubiger eines überschuldeten Unternehmens, auf die Bezahlung seiner Forderung so lange zu verzichten, bis die übrigen Gläubiger befriedigt sind. Falls in der Folge die Sanierung scheitert und über der Gesellschaft der Konkurs eröffnet wird, haftet der Verwaltungsrat unter bestimmten Voraussetzungen für den der Gesellschaft entstandenen Schaden. Gemäss der bisherigen bundesgerichtlichen Rechtsprechung (BGer 4A_277/2010 vom 2. September 2010, E. 2.3) sind für die Berechnung dieses Schadens die rangrücktrittsbelasteten Forderungen einzubeziehen. Das Gesetz ermunterte also einerseits den Verwaltungsrat zur Sanierung Rangrücktritte einzuholen, während das Bundesgericht damit drohte, dem Verwaltungsrat den Betrag dieser Rangrücktritte als Schaden anzurechnen (Camponovo/Baumgartner, Wird der Rangrücktritt unbrauchbar?, ST 12/11 S. 1036 ff., 1038).

Der neue Art. 757 Abs. 4 OR berichtigt dies nun und macht klar, dass solche Forderungen aus Rangrücktritten bei Verantwortlichkeitsklagen nicht eingeklagt werden können. Diese sind in die Schadensberechnung nicht einzubeziehen – wobei richtigerweise gesagt werden muss, dass der entsprechende Teil des Schadens nicht in die Berechnung der Schadenersatzpflicht einzubeziehen ist (Forstmoser/Küchler, a.a.O., Art. 757 ORN 8).

3.3.  Verlängerung des Klagerecht im Falle einer Décharge

Das Wichtigste in Kürze:

Das Klagerecht der Aktionäre, welche der Décharge nicht zugestimmt haben, sich der Stimme enthalten haben oder an der Generalversammlung nicht teilgenommen haben, erlischt neu zwölf Monate (anstatt bisher sechs Monate) nach dem Entlastungsbeschluss. Die Friststeht zudem während des Verfahrens auf Anordnung einer Sonderuntersuchung und während deren Durchführung still.

Im Detail:

Die Möglichkeit einer Décharge ist bereits seit dem Jahre 1883 im Aktienrecht verankert (Hasler, Die Bedeutung der Décharge für Verwaltungsräte, RR-VR 1/2019 S. 2 ff., 2). Um unnötige Verantwortlichkeitsprozesse einzuschränken und auch dem Grundsatz des konsequenten Handelns nachzuleben, gilt das Prinzip, dass die Gesellschaft und die zustimmenden Aktionäre auf Verantwortlichkeitsansprüche gegenüber Organen verzichten, wenn sie den Organen anlässlich der Generalversammlung durch einen gültigen Beschluss die Entlastung (Décharge) erteilen (von Büren/Stoffel/Weber, Grundriss des Aktienrechts, 3. A., Zürich/Basel/Genf 2011, Rz. 1264). Die Entlassung bezieht sich jedoch nur auf diejenigen Tatsachen, welche anlässlich der Generalversammlung bekannt geworden sind (BGer 4C.107/2005 vom29. Juni 2005, E. 3.2). Der durch die Décharge zum Ausdruck gebrachte Verzicht auf die Erhebung von Verantwortlichkeitsansprüchen gilt nur für die Gesellschaft und die der Décharge zustimmenden Aktionäre. Nach bisherigem Recht konnten Aktionäre, welche der Décharge nicht zugestimmt haben oder sich der Stimme enthalten haben oder an der Generalversammlung gar nicht teilgenommen haben, innert sechs Monaten nach der Generalversammlung Klage erheben (Hasler, a.a.O., S. 3). Es handelte sich dabei um eine Verwirkungsfrist.

Neu wird diese Frist in Art. 758 Abs. 2 erster Satz OR von sechs auf zwölf Monate verlängert, da sich in der Praxis die Frist von sechs Monaten als viel zu kurz erwiesen hatte (Botschaft, 601).

Die Frist wurde zudem auch auf die Sonderuntersuchung abgestimmt. Die Frist von zwölf Monaten steht gemäss Art. 758 Abs. 2 zweiter Satz OR während des Verfahrens auf Anordnung einer Sonderuntersuchung und während deren Durchführung still. Dadurch können die Ergebnisse der Sonderuntersuchung bei der Substantiierung der Klage genutzt werden, was bisher aufgrund der viel zu kurzen Verwirkungsfrist nicht zum Tragen kam (Forstmoser/Küchler, a.a.O., Art. 758 OR N 5).

3.4. Verkürzung der Verjährungsfrist

Das Wichtigste in Kürze:

Die relative Verjährungsfristwurde von fünf auf drei Jahre reduziert. Während des Verfahrens auf Anordnung einer Sonderuntersuchung und während deren Durchführung steht sie still.

Im Detail:

In Art. 760 Abs. 1 OR wurde aus Gründen der Vereinheitlichung und Vereinfachung die Verjährungsfrist an die allgemeinen Bestimmungen des OR angepasst und die relative Verjährungsfrist von fünf auf drei Jahre reduziert (Botschaft, 605) – ab dem Tag an, an dem der Geschädigte Kenntnis vom Schaden und von der Person des Ersatzpflichtigen erlangt hat. Die absolute Verjährungsfrist ist, nach wie vor, 10 Jahre „vom Tage angerechnet, an welchem das schädigende Verhalten erfolgte oder aufhörte“ (Art.760 Abs. 1 erster Satz OR).

Neu hinzugefügt wurde hier ein zweiter Satz: „Die Frist steht während des Verfahrens auf Anordnung einer Sonderuntersuchung und während deren Durchführung still.“ Dies deckt sich mit der oben erwähnten, neuen Regelung in Art. 758 Abs. 2 zweiter Satz OR.  

4. Aktien, Aktienkapital und Liberierung

4.1.  Aktienkapital in ausländischer Währung

Das Wichtigste in Kürze:

Neu besteht die Möglichkeit untergewissen Bedingungen für das Aktienkapital eine ausländische Währung zu verwenden (zurzeit Britische Pfund, Euro, US-Dollar oder Yen).

Im Detail:

Art. 621 OR ist nun neu in drei Absätze aufgeteilt, wobei sich Abs. 2 und 3 mit der neuen Möglichkeit befassen, für das Aktienkapital eine ausländische Währung zu verwenden.

Die Verwendung einer ausländischen Währung ist demnach zulässig, wenn:

  • sie für die Geschäftstätigkeit wesentlich ist (Art. 621 Abs. 2 erster Satz OR, gemeint ist damit die „Währung des primären wirtschaftlichen Umfelds des Unternehmens“, siehe Botschaft, 428);
  • das Aktienkapital in Fremdwährung im Zeitpunkt der Errichtung mindestens CHF100‘000 entspricht (Art. 621 Abs. 2 zweiter Satz OR);
  • Buchführung und Rechnungslegung in derselben ausländischen Währung erfolgt (Art. 621 Abs. 2dritter Satz OR);
  • die Verwendung der spezifischen Fremdwährung vom Bundesrat zugelassen wurde (Art.621 Abs. 2 vierter Satz OR; die zulässigen Währungen sind in Anhang 3 zur Handelsregisterverordnung aufgeführt und sind zurzeit: Britische Pfund, Euro, US-Dollar und Yen).

Bei einem Wechsel der Währung des Aktienkapitals einer bestehenden Gesellschaft muss:

  • die Generalversammlung den Wechsel auf den Beginn eines Geschäftsjahres beschliessen (Art. 621 Abs. 3 erster Satz OR);
  • der Beschluss mit dem erforderlichen Quorum gefasst werden, d.h. es ist die Zustimmung von mindestens zwei Drittel der vertretenen Stimmen und der Mehrheit der vertretenen Aktiennennwerte erforderlich (Art. 704 Abs. 1 Ziff. 9 OR);
  • der Wechsel ist vom Verwaltungsrat zu prüfen und die Statuten sind natürlich anzupassen, wobei der Verwaltungsrat die Einhaltung der Voraussetzungen von Art. 621 Abs. 2 OR festzustellen hat und den angewandten Umrechnungskurs festzuhalten hat (Art. 621 Abs. 3 zweiter und dritter Satz OR); und
  • die Beschlüsse der Generalversammlung und des Verwaltungsrates sind zu beurkunden(Art. 621 Abs. 3 letzter Satz OR).

Die gewählte Fremdwährung gilt für alle kapitalbezogenen Aspekte der AG wie z.B. die Reservenbildung und die Ausschüttungen (Fischer, Neues Aktienrecht – Ready forTake-off?, AJP 2023 S. 3 ff., 4). Für Steuerzwecke ist dagegen weiterhin die Bewertung in CHF relevant. Das steuerbare Eigenkapital (Art.31 Abs. 5 StHG) und der steuerbare Reingewinn (Art. 80 Abs. 1bis DBG und Art.31 Abs. 3bis StHG) sind in Franken umzurechnen.

Die neue Möglichkeit des Währungswechsel gilt auch für die GmbH (Art. 773 Abs. 2 OR).

4.2.  Mehr Flexibilität bei Nennwertveränderungen und Verrechnungsliberierung

Das Wichtigste in Kürze:

Neu muss der Nennwert jeder Aktieneinfach nur grösser als Null sein (und nicht mehr mindestens einen Rappen). Das Gesetz stellt neu klar, dass Forderungen, die mit der Liberierungsforderung der Gesellschaft zur Verrechnung gebracht werden sollen, nicht zwingend durch die Aktiven des Unternehmens gedeckt sein müssen.

Im Detail:

Das Aktienrecht schrieb stets einen gesetzlichen Nennwert jeder Aktie vor, welcher nicht unterschritten werden durfte. Das Aktienrecht von 1936 sah einen Nennwert von CHF 100 vor, die Aktienrechtsrevision von 1991 reduzierte diesen auf 10 Franken, im Jahre 2001erfolgte eine weitere Senkung auf einen Rappen. Neu genügt es nun, wenn der Nennwert einfach grösser als Null ist (Art. 622 Abs. 4 OR).

Der Gesetzgeber will damit mehr Flexibilität bezüglich der neuen Stückelungen von Aktien erhöhen (Botschaft, 431). Dieselbe neue Regelung gilt auch für die GmbH (Art. 774 Abs. 1 OR).

Der neue Art. 634a OR behandelt die Verrechnungsliberierung und klärt strittige Fragen. Beispielsweise wird klargestellt, dass Forderungen, die mit der Liberierungsforderung der Gesellschaft zur Verrechnung gebracht werden sollen, nicht zwingend durch die Aktiven des Unternehmens gedeckt sein müssen (Botschaft, 493).

Zudem müssen gemäss Art. 634a Abs. 3 OR Verrechnungstatbestände zur Verbesserung der Transparenz zugunsten von Gläubiger und Investoren (Botschaft, 492) in den Statuten festgehalten werden. Die Statuten müssen die Beträge der zur Verrechnung gebrachten Forderungen, die Namen der entsprechenden Aktionäre und die ihnen zukommenden Aktien angeben. Nach Ablauf von zehn Jahren können diese Statutenbestimmungen durch die Generalversammlung wieder aufgehoben werden.

Diese sog. Statutenpublizität (zusätzlich zur bisherigen Registerpublizität) gilt neu auch für die Liberierung aus frei verwendbarem Eigenkapital gemäss Art. 652d Abs. 3OR.

4.3.  Abschaffung der (beabsichtigten) Sachübernahme

Das Wichtigste in Kürze:

Die Regeln bezüglich Sachübernahme und beabsichtigte Sachübernahme wurden abgeschafft (siehe auch oben).

Im Detail:

Die Frage, wann ein Geschäft als Sachübernahme zu qualifizieren war und bis wann bei einer Sachübernahme nach der Gründung oder Kapitalerhöhung ein relevanter Zusammenhang mit der Gründung oder Kapitalerhöhung bestand, war oft schwierig zu beantworten (Botschaft, 432). Der Gesetzeswortlaut war stark auslegungsbedürftig und die Schutzmechanismen griffen nur selektiv. Zudem wurde der Schutz u.a. aus dem Rückerstattungstatbestand von Art. 678 OR, dem Verbot der Einlagerückgewähr (Art. 680 Abs. 2 OR), der Haftung aus Art. 754 OR – z.B. bei einer Überbewertung von übernommenen Vermögenswerten – und den seit 2013 präziseren Vorschriften des Rechnungslegungsrechts als genügend betrachtet (Botschaft, 433 f.). Hinzu kommt der Schutz aus sanierungsrechtlichen, konkurs- und betreibungsrechtlichen Vorschriften (wie die paulianische Anfechtungsklage) sowie aus den strafrechtliche Haftungsfolgen – Art. 152 StGB punkto unwahre Angaben über kaufmännische Gewerbe, Art. 158 StGB punkto ungetreue Geschäftsbesorgung, Art. 163 StGB bzgl. betrügerischer Konkurs und Pfändungsbetrug, Art. 164 StGB bzgl. Gläubigerschädigung durch Vermögensminderung und Art. 165 StGB punkto Misswirtschaft (a.a.O.).

4.4.  Mehr Flexibilität bei Kapitalveränderungen

Das Wichtigste in Kürze:

Die neuen Kapitalbestimmungen der Revision schaffen mehr Flexibilität für Unternehmen. Kernstück ist das neue Instrument des Kapitalbandes (spezifisch hierzu siehe nächster Punkt). Hinzukommen punktuelle Anpassungen an der ordentlichen Kapitalerhöhung, der Kapitalerhöhung aus bedingtem Kapital sowie der Kapitalherabsetzung, welche Kapitalanpassungen erleichtern sollen.

Im Detail:

Bei der ordentlichen Kapitalerhöhung wird die Frist für die Umsetzung und Eintragung der Kapitalerhöhung von bisher drei Monate auf sechs Monate verlängert (Art. 650 Abs. 3 OR). Gemäss der früheren Formulierung von Art. 650 Abs. 3 OR war für die Einhaltung der alten Drei-Monats-Frist das Datum der Eintragung in das Handelsregister massgebend, worauf die Anmeldenden keinen Einfluss hatten. Neu erklärt das Gesetz das Datum der Anmeldung als massgebend.

Neu wird ebenso in Art. 652b Abs. 4 OR ausdrücklich erwähnt, dass nicht nur durch die Aufhebung des Bezugsrechts, sondern auch durch die Festsetzung des Ausgabebetrags niemand in unsachlicher Weisebegünstigt oder benachteiligt werden darf. Dadurch wird zum Schutz des Eigentums der Aktionäre ausgeschlossen, dass durch eine Kapitalerhöhung der Substanzwert deren Aktien verwässert wird, wenn sie sich nicht an der Erhöhung beteiligen können oder wollen(Botschaft, 498).Dieses Recht galt schon bisher, ist aber durch die explizite Verankerung im Gesetz besser abgesichert (Forstmoser/Küchler, a.a.O., Art. 652b OR N 11).

Bei der bedingten Kapitalerhöhung wird der Kreis der möglichen Empfänger von Optionen oder Wandelanleihen erweitert: Bisher erwähnte das Gesetz in Art.653 Abs. 1 OR „Gläubiger von neuen Anleihens- oder ähnlichen Obligationen …sowie … Arbeitnehmer“. In der neuen Formulierung von Art. 653 Abs. 1 OR werden nun auch die Aktionäre, die Mitglieder des Verwaltungsrates, Mitglieder des Verwaltungsrates anderer Konzerngesellschaften und „Dritte“ erwähnt – z.B. Hochschulen im Rahmen eines Technologietransfers  (Fischer, Neues Aktienrecht – Ready for Take-off?, AJP 2023 S. 3 ff., 6, Fn 43).

Art. 653c Abs. 3 OR kodifiziert die bisherige Praxis, wonach eine Beschränkung oder Aufhebung des Vorwegzeichnungsrechts nicht nur aus wichtigen Gründen zulässig ist, sondern auch dann, wenn Aktien börsenkotiert sind und die auszugebenden Obligationen „zu angemessenen Bedingungen ausgegeben werden“, d.h. so, dass sich ein interessierter Aktionär zu vergleichbaren Bedingungen an der Börse eindecken kann (Forstmoser/Küchler, a.a.O., Art. 653c OR N 7). Nach herrschender Lehre zum bisherigen Recht mussten weitere Voraussetzungen gegeben sein (breit gestreuter Aktionärskreis und keine einseitige Bevorzugung einzelner Aktionärsgruppen oder Dritte und bei der Zuteilung der Anleihen). Diese Aspekte könnten im Einzelfall angesichts des Sachlichkeitsgebots von Art. 653c Abs. 4 OR relevant bleiben (a.a.O.).

In der bisherigen Formulierung von Art. 653e Abs. 1 OR wurde verlangt, dass die Ausübung der Wandel- oder Optionsrechte werden durch eine schriftliche Erklärung muss. Neu ist dies formfrei möglich. Nichtsdestotrotz hält das Gesetzfest, dass die Ausübung (auch wenn sie z.B. mündlich erfolgen würde) auf die Statutenbestimmungen über das bedingte Kapital und auf den allfälligen Prospekthinweisen muss.

Mit Art. 653 Abs. 3 OR wurde eine neue Bestimmung eingefügt, welche einer besonderen Art der Wandelanleihe, den Pflichtwandelanleihen, Rechnung trägt. Es handelt sich dabei um Obligationen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt oderunter gewissen Bedingungen zwingend in Aktien umgetauscht werden müssen (Forstmoser/Küchler, a.a.O., Art. 653 ORN 6). Die Bestimmungen zur Erhöhung des Aktienkapitals aus bedingtem Kapitalsind hier sinngemäss anwendbar (Art. 653 Abs. 3 OR).

Die bisherige Formulierung von Art. 653i Abs. 1 OR sah die Aufhebung der Statutenbestimmungen über die bedingte Kapitalerhöhung nur vor, wenn die Wandel- oder Optionsrechte erloschen sind. Die Formulierung von Art. 653i Abs.1 OR erweitert die Möglichkeiten diesbezüglich. Die Aufhebung oder Anpassung der entsprechenden Statutenbestimmungen ist möglich, wenn:

  • die Wandel- oder Optionsrechte erloschen sind (Art. 653i Abs. 1 Ziff. 1 OR);
  • gar keine Wandel- oder Optionsrechte eingeräumt worden sind (Art. 653i Abs. 1 Ziff.2 OR); oder
  • alle oder ein Teil der Berechtigten auf die Ausübung verzichtet haben (Art. 653iAbs. 1 Ziff. 3 OR).

Bezüglich Kapitalherabsetzungen wurde neu eine Verwirkungsfrist eingeführt, innerhalb welcher die Kapitalherabsetzung beim Handelsregister angemeldet werden muss, und zwar innerhalb von sechs Monaten, andernfalls fällt der Herabsetzungsbeschluss dahin. Die Frist kann durch die Generalversammlung verkürzt, nicht aber verlängert werden (Botschaft, 506).

Neu wird in Art. 653n Ziff. 1 OR analog zur Kapitalerhöhung bis zu einem Maximalbetrag (Art. 650 Abs. 2 Ziff. 1 und 2 OR) die Möglichkeit der Kapitalherabsetzung bis zu einem Maximalbetrag geregelt. Zum Teil wurde dieses Vorgehen bereits bisher als zulässig betrachtet. Ein praktisches Bedürfnis besteht bezüglich einer solchen Kapitalherabsetzung bis zu einem Maximalbetrag insbesondere im Zusammenhang mit Aktienrückkaufprogrammen, bei welchen zu Beginn nicht klar ist, in welchem Umfang Aktien zurückgekauft werden(Botschaft, 509).

Neu muss gemäss Art. 653k Abs. 1 OR beim Schuldenruf im Schweizerischen Handelsamtsblatt (SHAB) nur noch eine Publikation erfolgen (anstelle von drei SHAB-Publikationen). Zudem wurde die Frist für die Anmeldung eines Begehrens auf Sicherstellung von Forderungen von bisher zwei Monaten auf 30 Tage verkürzt (Art. 653k Abs. 2 OR). Die Gesellschaft muss neu die Forderungen der Gläubiger nur noch in dem Umfang sicherstellen, in dem die bisherige Deckung durch die Kapitalherabsetzung vermindert wird (Art. 653k Abs. 2 OR). Wenn die Gesellschaft die Forderung erfüllt oder nachweist, dass die Erfüllung der Forderung durch die Herabsetzung des Aktienkapitals nicht gefährdet wird, entfällt die Pflicht zur Sicherstellung (Art. 653k Abs. 3 erster Satz OR). Und liegt eine Prüfungsbestätigung vor, wird damit die Vermutung begründet, dass die Erfüllung der Forderung durch die Herabsetzung nicht gefährdet wird (Art.653k Abs. 3 zweiter Satz OR). Dies gilt also als hinreichender Beleg für die fehlende Gefährdung.

Die Vorschriften bezüglich Kapitalherabsetzungen gelten sinngemäss bei der Kapitalherabsetzung im Rahmen eines Kapitalbandes (Art. 653u Abs. 5 OR).

Bei der Sanierungsmassnahme des „Kapitalschnitts“ (auch „Harmonika“ genannt, d.h. Kapitalherabsetzung mit gleichzeitiger Kapitalerhöhung) sind die Schutzvorschriften des Kapitalherabsetzungsverfahrens nicht anwendbar (Art.653q Abs. 1 OR). Diese Sanierungsmassnahme wird neu in Art. 653q OR und Art.653r OR ausführlich geregelt.

Neu wird nichtmehr die Vollliberierung des neu geschaffenen Kapitals verlangt wird, sondern nur noch die Beibehaltung des bestehenden Liberierungsgrades (Forstmoser/Küchler, a.a.O., Art. 653q ORN 6).

4.5.  Das Kapitalband

Das Wichtigste in Kürze:

Die Revision führt das neue Instrument des Kapitalbandes ein (eine Kombination einer genehmigten Kapitalerhöhung mit einer genehmigten Kapitalherabsetzung).

Im Detail:

Eine zentrale Neuerung der Aktienrechtsrevision ist die Einführung eines Kapitalbands. Das Kapitalband kombiniert die bisherige genehmigte Kapitalerhöhung mit einer spiegelbildlichen, bisher nichtvorgesehenen „genehmigten Kapitalherabsetzung“ (von der Crone/Dazio: Das Kapitalband im neuen Aktienrecht, SZW / RSDA 5/2020, 505 ff., 506). Das bisherige Instrument der genehmigten Kapitalerhöhung wurde zudem obsolet gemacht und gestrichen.  

Die Statuten können den Verwaltungsrat ermächtigen, während einer Dauer von längstens fünf Jahren das Aktienkapital innerhalb einer Bandbreite (Kapitalband) zu verändern (Art. 653s Abs. 1 erster Satz OR). Sie legen fest, innerhalb welcher Grenzen der Verwaltungsrat das Aktienkapital erhöhen und herabsetzen darf (Art. 653s Abs. 1 zweiter Satz OR).

Die obere Grenze des Kapitalbands darf das im Handelsregister eingetragene Aktienkapital höchstens um die Hälfte übersteigen. Die untere Grenze des Kapitalbands darf das im Handelsregister eingetragene Aktienkapital höchstens um die Hälfte unterschreiten (Art. 653s Abs. 2 OR).

Die Generalversammlung kann den Ermessensspielraum des Verwaltungsrates einschränken. So kann sie z.B. bestimmen, dass der Verwaltungsrat das Aktienkapital nur erhöhen, nicht aber herabsetzen darf (Art. 653s Abs. 3 OR).Hat eine Gesellschaft allerdings auf die eingeschränkte Revision der Jahresrechnung verzichtet, dürfen die Statuten den Verwaltungsrat nur zur Kapitalerhöhung ermächtigten (Art. 653s Abs. 4 OR). Art. 653t Abs. 1 schreibt die erforderlichen Statutenbestimmungen vor, welche der Verwaltungsrat nach Ablauf der für die Ermächtigung festgelegten Dauer wieder zu streichen hat (Art. 653tAbs. 2 OR).

Sind Einzelheiten im Generalversammlungsbeschluss nicht geregelt (z.B. bezüglich der Bezugsrechtsausschluss), so kann gemäss Art. 653u Abs. 2 OR der Verwaltungsrat diese erlassen. Punkto Bezugsrecht müssen in den Statuten jedoch „die wichtigen Gründe, aus denen Verwaltungsrat das Bezugsrecht einschränken oder aufheben kann“ festgehalten werden (Art. 653t Abs. 1 Ziff. 7 OR). Bei einer Herabsetzung des Aktienkapitals innerhalb des Kapitalbands sind die Gläubigerschutzbestimmungen der ordentlichen Kapitalherabsetzung sinngemäss anwendbar (Art. 653u Abs. 3 OR).

Nach jeder Erhöhung oder Herabsetzung des Aktienkapitals macht der Verwaltungsrat die erforderlichen Feststellungen und ändert die Statuten entsprechend (Art. 653u Abs. 4 erster Satz OR). Der Beschluss über die Statutenänderung und die Feststellungen des Verwaltungsrats sind öffentlich zu beurkunden (Art. 653uAbs. 4 zweiter Satz OR). Im Übrigen gelten die Vorschriften über die ordentliche beziehungsweise die Kapitalerhöhung aus bedingtem Kapital und über die Kapitalherabsetzung sinngemäss (Art. 653u Abs. 5 OR). Hinzu kommt: Beschliesst die Generalversammlung während der Dauer der Ermächtigung des Verwaltungsrats, das Aktienkapital herauf- oder herabzusetzen oder die Währung des Aktienkapitals zu ändern, so fällt der Beschluss über das Kapitalband dahin(Art. 653v Abs. 1 erster Satz OR). Die Statuten sind dann entsprechend anzupassen (Art. 653v Abs. 1 zweiter Satz OR).

Ein bedingtes Kapital kann dagegen sowohl ausserhalb des Kapitalbandes als auch innerhalb des Kapitalbandes vorgesehen werden. Art. 653v Abs. 2 OR befasst sich mit dem Verhältnis zwischen den beiden Vorgängen. Wird das bedingte Kapital ausserhalb des Kapitalbandes vorgesehen bildet es zusätzliches Grundkapital, weshalb sich das Band entsprechend verschiebt (Forstmoser/Küchler, a.a.O., Art. 653v OR N 8). Aufgrund einer Ermächtigung des Verwaltungsrats zur entsprechenden Verwendung des Kapitalbandes, kann das bedingte Kapital aber eben auch im Rahmen des bestehenden Kapitalbandes eingeführt werden (a.a.O.). Die letztere Variante bietet den Vorteil, dass hinsichtlich des Kapitalbands keine Statutenänderung erforderlich ist. Sie hat aber auch den Nachteil, dass mit dem Ablauf des Kapitalbandes die Basis für die Schaffung neuer Aktienentfallen könnte (a.a.O.).

4.6.  Änderungen bezüglich des Partizipationskapitals

Das Wichtigste in Kürze:

Das börsenkotierte Partizipationskapital darf das Zehnfache des Aktienkapitals betragen. Nicht börsenkotiertes Partizipationskapital darf maximal einen Umfang des doppelten Aktienkapitals aufweisen (wie bisher). Verschiedene Grenz- und Schwellenwerte im Zusammenhangmit einem allfälligen Partizipationskapital wurden angepasst.

Im Detail:

Neu darf Partizipationskapital, das sich ausbörsenkotierten Partizipationsscheinen zusammensetzt, maximal das Zehnfach des Aktienkapitals betragen (Art. 656b Abs. 1 erster Satz OR). Für nichtbörsenkotiertes Partizipationskapital gilt die bisherige Obergrenze des doppelten Aktienkapitals (Art. 656b Abs. 1 zweiter Satz OR).

Änderungen gibt es zudem bei der Berechnung verschiedener Grenz- und Schwellenwerte im Zusammenhang mit einem allfälligen Partizipationskapital. Gemäss Art. 656b Abs.4 OR sind die Schwellenwerte sind für Aktionäre und Partizipanten gesondert zu berechnen bei (1.) der Einleitung einer Sonderuntersuchung; (2.) der Auflösungsklage; und (3.) der Meldung der wirtschaftlich berechtigten Person gemäss Artikel 697j. Die getrennte Berechnung soll sicherstellen, dass die Aktionäre auch dann ihre Minderheitenschutzrechte ausüben können, wenn das Aktienkapital im Vergleich zum Partizipationskapital relativ gering ist (vgl. Botschaft, 519). Bei Gesellschaften mit vergleichsweise geringem Partizipationskapital kann dies allerdings zu widersinnigen Ergebnissen führen, insbesondere bzgl. Meldepflichten (Gericke/Müller/Häusermann/Hagmann, Neues Aktienrecht: Tour d’Horizon, GesKR 2020 S. 323 ff., 329 f.).

5. Änderungen bezüglich Kapitalerhaltungsvorschriften

5.1.  Erwerb eigener Aktien

Das Wichtigste in Kürze:

Steht der Erwerb von eigenen Aktien durch die Gesellschaft im Zusammenhang mit einer Auflösungsklage, so beträgt die Höchstgrenze neu 20 Prozent. Dies Obergrenze gilt – wie bisher – auch für einen Erwerb im Zusammenhang mit einer Übertragbarkeitsbeschränkung.

Im Detail:

Eine Aktiengesellschaft darf eigene Aktien nur dann erwerben, wenn frei verwendbares Eigenkapital in der Höhe der dafür nötigen Mittel vorhanden ist und der gesamte Nennwert dieser Aktien 10 Prozent des Aktienkapitals nicht übersteigt (Art. 659 Abs. 1 und 2 OR). Diese Höchstgrenze wurde bisher für den Fall eines Erwerbs im Zusammenhang mit einer Übertragbarkeitsbeschränkung auf 20 Prozent erhöht. Neu wird diese Obergrenze von 20 Prozent auch auf den Fall einer Auflösungsklage ausgedehnt (Art. 659Abs. 3 OR).

Diese Änderung soll ermöglichen, dass im Falle einer Klage auf Auflösung der Gesellschaft vermehrt die Alternative der Übernahme der Aktien durch die Gesellschaft realisiert werden kann. Das Ausscheiden von Personen mit Minderheitsbeteiligung aus einer privaten Aktiengesellschaft wird dadurch erleichtert (Botschaft,520). Die über zehn Prozent hinaus erworbenen Aktien sind innerhalb von zwei Jahren zu veräussern oder durch Kapitalherabsetzung zu vernichten (Art. 659Abs. 3 OR).

5.2. Reserven

Das Wichtigste in Kürze:

In Art. 671 bis 673 OR wurden die Bestimmungen zu den Reserven neu strukturiert, und es wurde in Art. 674 OR die Reihenfolge ihrer Verrechnung mit Verlusten festgelegt (Forstmoser/Küchler, a.a.O., Vorbemerkungen zu Art. 671–674 OR N 3). Das Gesetz gliedert die Reserven neu in gesetzliche Kapitalreserven (Art. 671 OR), gesetzliche Gewinnreserven (Art. 672 OR) und freiwillige Gewinnreserven (Art. 673 OR).

Im Detail:

Ziel der neuen Regelungen ist es, a) die Vorschriften des geltenden Rechts zu vereinfachen und den internationalen Gepflogenheiten anzupassen; b) die aktienrechtlichen Bestimmungen in Einklang mit dem neuen Rechnungslegungsrecht zu bringen, welches am 1. Januar 2013 in Kraft getreten ist; und c) die Umsetzung des Kapitaleinlageprinzips der Unternehmenssteuerreformgesetzgebung vom 23. März 2007. Das Kapitaleinlageprinzip gilt seit 1. Januar 2011 und ermöglicht die steuerfreie Rückzahlung von Reserven aus Kapitaleinlagen. Davor galt das Nennwertprinzip, und die Rückzahlung von Reserven aus Kapitaleinlagen unterlag der Verrechnungs- und der Einkommenssteuer.

5.3. Gesetzliche Kapitalreserve (Art. 671 OR)

Das Wichtigste in Kürze:

Der neue Art.671 Abs. 1 OR verpflichtet in drei verschiedenen Fällen zur Bildung von gesetzlichen Kapitalreserven (bei Vorliegen eines Agios; im Falle eines Kaduzierungsgewinns; und bei weiteren Einlagen und Zuschüsse auf Aktien oder Partizipationsscheine).

Im Detail:

Der neue Art.671 Abs. 1 OR sieht drei Fallkonstellationen vor, bei denen gesetzlichen Kapitalreserven gebildet werden:

  • Nach Art. 671 Abs. 1 Ziff. 1 OR ist das Agio, d.h. die Differenz zwischen dem Nennwert neu ausgegebener Aktien oder Partizipationsscheine unter dem Ausgabepreis abzüglich der Ausgabekosten, der gesetzlichen Kapitalreserve zuzuweisen (von der Crone, Aktienrecht, 2. Aufl., Bern 2020, Rz. 514).
  • Nach Art. 671 Abs. 1 Ziff. 2 OR ist auch der sogenannte Kaduzierungsgewinn der gesetzlichen Kapitalreserve zuzuweisen, d.h. die zurückbehaltenen Teilzahlungen auf Aktien deren der Aktienzeichner als Konsequenz seines Verzuges verlustig erklärt wurde(a.a.O.).
  • Allfällige weitere Einlagen und Zuschüsse auf Aktien oder Partizipationsscheine sind nach Art. 671 Abs. 1 Ziff. 3 OR ebenso der gesetzlichen Kapitalreserve zuzuweisen(a.a.O.). Diese werden dann steuerlich gemäss dem Kapitaleinlageprinzip bei der Rückzahlung wie die Rückzahlung von Aktien- oder Partizipationskapital behandelt.

5.4. Gesetzliche Gewinnreserve (Art. 672OR)

Das Wichtigste in Kürze:

Die Gewinnreserven umfassen „sämtliche Reserven, die aus einbehaltenen Gewinnen der Gesellschaft gebildet werden“ (Botschaft, 524). Im Vergleich zum bisherigen Recht sind verschiedene Änderungen vorgenommen worden, die zu einer Vereinfachung sowie einer Verstärkung der Reserven führen (Forstmoser/Küchler, a.a.O., Art. 672 ORN 4).

Im Detail:

Die gesetzliche Gewinnreserve wird durch Zuweisungen aus dem Jahresgewinn gebildet. Gemäss Art. 672 Abs. 1 erster Satz OR sind jeweils 5% des Jahresgewinns der gesetzlichen Gewinnreserve zuzuweisen. Liegt ein Verlustvortrag vor, so ist dieser gemäss Art. 672 Abs. 1 zweiter Satz OR vor der Zuweisung an die Reserve zu beseitigen. Die Pflicht zur Zuweisung an die gesetzliche Gewinnreserve besteht, bis die gesetzliche Gewinnreserve zusammen mit der gesetzlichen Kapitalreserve die Hälfte des im Handelsregister eingetragenen Aktienkapitals erreicht (Art. 672Abs. 2 erster Satz OR). Bei Holdinggesellschaften besteht die Pflicht zur Zuweisung an die gesetzliche Gewinnreserve, bis diese zusammen mit der gesetzlichen Kapitalreserve 20% des im Handelsregister eingetragenen Aktienkapitals erreicht (Art. 672 Abs. 2 zweiter Satz OR). Nicht in die Berechnung der Reservepflicht einzubeziehen sind allfällige Gewinnvorträge, da auf diesen bereits in den Vorjahren Reserven gebildet worden sind (von der Crone Hans Caspar, Aktienrecht, 2. Aufl., Bern 2020, Rz. 515).

Die neue Regelung führt zu einer Verschärfung, aber auch zu einer Vereinfachung der bisherigen Ordnung:

  • Bezugsgrösse für die Reservebildung ist neu das gesamte eingetragene und nicht, wie bisher, nur das einbezahlte Kapital.
  • Das zu erreichende Limit beträgt 50%, muss aber nur von der gesetzlichen Gewinnreserve und der gesetzlichen Kapitalreserve zusammen erreicht werden. Nach bisherigem Recht musste dagegen die statutarische Reserve allein 20% des einbezahlten Kapitals betragen (Forstmoser/Küchler, a.a.O., Art. 672 OR N 9).
  • Die bisher vorgesehene Pflicht zu einer zweiten Zuweisung nach Ausschüttung einer Dividende von 5% fällt weg (a.a.O.).

5.5. Freiwillige Gewinnreserve (Art. 673OR) und Verrechnung mit Verlusten (Art. 674 OR)

Das Wichtigste in Kürze:

Die Generalversammlung kann gemäss dem revidierten Art. 673 OR in den Statuten oder durch Beschluss im Einzelfall die Bildung zusätzlicher freiwilliger Gewinnreserven vorsehen. Diese dürfen jedoch nur gebildet werden, wenn das dauernde Gedeihen des Unternehmens es erlaubt. Art. 674 OR legt sodann fest, in welcher Reihenfolge Jahresverluste zu verrechnen sind.

Im Detail:

Der frühere Art. 673 OR sah die Bildung von Reserven „zur Gründung und Unterstützung von Wohlfahrtseinrichtungen für Arbeitnehmer des Unternehmens“ vor. Da die Vorsorge für Arbeitnehmer der Gesellschaft bereits durch die Personalfürsorgestiftung im Stiftungsrecht (Art. 89bis ZGB), die Beitragspflicht von Arbeitnehmer und Arbeitgeber (Art. 331 ff. OR) und weitere Schutzbestimmungen des Bundesgesetzes über die berufliche Vorsorge abgedeckt ist, kam dieser Bestimmung keine grosse Bedeutung mehr zu (BSK OR II-Neuhaus/Balkanyi, Art. 673 N 6 und Art. 674 N 20).

Nach Abs. 1 des neuen Art. 673 OR kann die Generalversammlung in den Statuten oder durch Beschluss im Einzelfall die Bildung zusätzlicher freiwilliger Gewinnreserven vorsehen.

Solche freiwillige Gewinnreserven dürfen nach Absatz 2 von Art. 673 OR jedoch nur gebildet werden, wenn das dauernde Gedeihen des Unternehmens unter Berücksichtigung der Interessen aller Aktionärinnen und Aktionäre dies rechtfertigt (Botschaft, 524). Die Bildung zusätzlicher Reserven ist also nicht uneingeschränkt zulässig, und zwar vor allem dann nicht, wenn sie unternehmensfremden Zwecken, der "Aushungerung" von Personen mit Minderheitsbeteiligungen oder einem missbräuchlichen Tiefhalten des Aktienkurses durch tiefe Dividendenausschüttungen dient (a.a.O.).

Art. 674 OR legt sodann verbindlich fest, dass Jahresverluste in der folgenden Reihenfolge zu verrechnen sind: mit dem Gewinnvortrag (Ziff. 1), den freiwilligen Gewinnreserven (Ziff. 2), der gesetzlichen Gewinnreserve (Ziff. 3) und schliesslich mit der gesetzlichen Kapitalreserve (Ziff. 4).

Anstelle der Verrechnung mit der gesetzlichen Gewinnreserve oder mit der gesetzlichen Kapitalreserve können nach Absatz 2 verbleibende Jahresverluste auch teilweise oder ganz auf die neue Jahresrechnung vorgetragen werden.

Die Verrechnung dient dabei dem Grundsatz der Klarheit und Verständlichkeit der Rechnungslegung (Art. 958c Abs. 1 Ziff. 1 OR). So soll beispielsweise nicht ein Jahresverlust gleichzeitig mit einem Gewinnvortrag in der Eröffnungsbilanz des neuen Geschäftsjahrs ausgewiesen werden (Botschaft, 525).

5.6. Ausschüttung von Zwischendividenden (Art. 675a OR)

Das Wichtigste in Kürze:

Art. 675a OR regelt neu die Zulässigkeit der Ausrichtung von Zwischendividenden und die einzuhaltenden Bedingungen hierfür.

Im Detail:

Das Aktienrecht enthielt bisher keine Bestimmung zur Ausschüttung von Zwischendividenden (auch „Interimsdividenden“ bezeichnet). In der Praxis zeigte sich ein verstärktes Bedürfnis betreffend die Ausrichtung von Zwischendividenden, insbesondere zur Liquiditätsumverteilung innerhalb eines Konzerns und bei Gesellschaften, deren Aktionäre aufgrund ihrer Herkunft Quartalsdividenden gewöhnt sind (Botschaft, 526). Ob und in welcher Form nach bisherigem Recht die Ausrichtung von Zwischendividenden zulässig war, war umstritten (a.a.O.). Das neue Recht schafft diesbezüglich nun Klarheit.

Vorausgesetzt ist gemäss Art. 675a Abs. 1 OR ein entsprechender Generalversammlungsbeschluss und das Vorliegen eines Zwischenabschlusses für die Beschlussfassung. Art. 675aAbs. 2 OR schreibt sodann vor, dass der Zwischenabschluss vor der Beschlussfassung von der Revisionsstelle geprüft werden muss, wobei zwei Ausnahmen vorgesehen werden: a) die Gesellschaft hat keine Revisionsstelle bzw. hat von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, auf eine eingeschränkte Prüfung ihrer Jahresrechnungen zu verzichten (also ein „Opting-out“ beschlossen und umgesetzt hat); oder b) sämtliche Aktionäre stimmen der Ausrichtung der Zwischendividende zu und die Forderungen der Gläubiger werden dadurch nicht gefährdet.

6. Fazit

Die Aktienrechtsrevision führt diverse neue Möglichkeiten und Instrumente ein. Für bestehende Aktiengesellschaften gilt es entsprechend zu prüfen, welche dieser neuen Möglichkeiten genutzt werden können und sollen (Aktienkapital in einer Fremdwährung, Einführung eines Kapitalbandes, Einführung statutarischer Schiedsklauseln, Durchführung virtueller Generalversammlungen, Durchführung von Generalversammlungen im Ausland, Einführung eines Stichentscheids des Vorsitzenden an der Generalversammlung etc.).

Generell empfiehlt sich eine Totalrevision der Statuten von bestehenden Gesellschaften, um diese auf den neuesten Stand und mit den neuen Gesetzesänderungen in Einklang zu bringen.